Wir sind der technische Anwalt der Windmüller
Er gehört zu den bekanntesten Köpfen der deutschen Windbranche: Manfred Lührs.
Der gebürtige Niedersachse hat vor 25 Jahren das Ingenieurbüro 8.2 gegründet, aus dem sich im Laufe der Jahre unter dem Dach der 8.2 Group das größte Netzwerk unabhängiger Gutachter und Sachverständiger für die Windenergietechnologie entwickelt hat.
Der studierte Maschinenbauingenieur Lührs kennt noch die Anfänge der deutschen Windindustrie. 1985 war er bei dem mittelständischen Unternehmen Kähler Maschinenbau mit Sitz in dem kleinen Dithmarscher Dorf Norderheistedt nördlich von Heide verantwortlich für die junge Windkraftsparte. Im Alleingang konstruierte er in dieser Pionierphase eine 30-kW-Anlage, von der insgesamt 29 Anlagen errichtet wurden. Ab Frühjahr 1990 verkaufte Lührs dann für den Windturbinenhersteller Enercon als Vertriebsleiter die damals größten Windparks bundesweit. Deren Leistung von wenigen MW ruft heute mitunter ein müdes Lächeln hervor, diese Anlagen legten aber den Grundstein für die Erfolgsgeschichte der Windenergie hierzulande.
E&M: Herr Lührs, was war für Sie die wichtigste technologische Neuerung in der Windbranche seit Gründung Ihres Ingenieurbüros 8.2 vor 25 Jahren?
Lührs: Die für mich wichtigste Innovation gab es bereits vor unserer Gründung: Anfang der 1990er-Jahre ist die Drehzahlvariabilität bei Windenergieanlagen eingeführt worden. Damit lässt sich der Rotor optimal mit dem Anströmwinkel des Windes verknüpfen. Bläst der Wind stärker, erhöht sich die Drehzahl und die Windstromerzeugung wird größer. Nach dem niederländischen Windturbinenhersteller Lagerwey hatte Enercon, bei der ich in den frühen 1990er-Jahren als Vertriebsleiter tätig war, als nächstes Unternehmen auf die Drehzahlvariabilität gesetzt. Zusammen mit der Einführung der getriebelosen Antriebstechnik wenig später untermauerte Enercon hierzulande seinen Ruf als Technologieführer. Einen solch großen technischen Sprung wie die Einführung der Drehzahlvariabilität, auf die alle Hersteller aufgesprungen sind, hat es später nicht mehr gegeben.
E&M: Das ist schon überraschend. „Der Rotor ist der Motor!“
Lührs: Klar, hat es aus Kostendruck in den zurückliegenden Jahren bei allen Herstellern neue Fertigungs-, Beschaffungs- und Logistikkonzepte gegeben und vor allem wesentlich leistungsstärkere Windturbinen. Das A und O für eine höhere Windausbeute bleibt aber ein größerer Rotordurchmesser − der Rotor ist der Motor! Und wenn ich sehe, dass wir bei Onshore-Anlagen bei mittlerweile 170 Metern Rotordurchmesser angekommen sind, kann ich allen Herstellern nur großen Respekt zollen: Sie gehen ein hohes Risiko ein, die Anlagen sollen bekanntlich 20 Jahre lang und mehr in Betrieb bleiben.
E&M: Was sind mit der Sachverständigenbrille gesehen die größten und häufigsten Schwachstellen der Windturbinen, die heute in Betrieb sind?
Lührs: In den zurückliegenden zehn Jahren haben sich die Blattlager zunehmend zur größten Schwachstelle entwickelt. Davor sind sie nur in Ausnahmefällen ausgefallen. Nicht nur die zunehmende Länge der Rotorblätter ist für die auffällig gestiegene Zahl der Schäden verantwortlich. In heutigen Windparks stehen die Anlagen immer dichter nebeneinander, was zu mehr Windturbulenzen führt. Das belastet die Azimut-Getriebe und vor allem die Blattlager. Dagegen ist die Zahl der Getriebeschäden, die vor fünf, zehn Jahren viele Betreiber und Versicherungen haben unruhig werden lassen, auf ein ganz niedriges Niveau gesunken. Der serienmäßige Einbau von Condition-Monitoring- Systemen, mit denen sich Schäden frühzeitig erkennen lassen, hat sicherlich zu dieser Entwicklung beigetragen − ebenso wie die Expertise von 8.2! „Service und Wartung haben an Professionalität gewonnen“
E&M: Bleiben wir beim Kostendruck. Befürchten Sie, dass die Qualität beim Service und der Wartung von Windturbinen nachlässt und so die Zahl der Schäden wieder steigt?
Lührs: Diese Befürchtung habe ich nicht, da Service und Wartung über die Jahre hinweg an Professionalität gewonnen haben. Probleme erwarte ich allerdings bei den Ü20-Anlagen. Nach Wegfall der EEG-Vergütung erhalten deren Betreiber, wenn überhaupt, nur noch wenige Einnahmen, weshalb Sparen auf allen Ebenen angesagt sein wird. Wenn es nicht eine zeitlich befristete Auffanglösung mit einer Vergütung gibt, die zumindest einen Plus/minus-null-Betrieb sicherstellt, dann werden die allermeisten Altanlagen nach dem ersten Schaden einer Großkomponente abgebaut und verschrottet. Da muss die Politik jetzt sofort ran: Es kann doch nicht sein, dass der Betreiber, der den Strom erzeugt und das Risiko trägt, mit weniger als drei Cent abgespeist wird und der Strom dann in der Nachbarschaft für 30 Cent verkauft wird!
E&M: Als Sie in den 1980er- und den früheren 1990er-Jahren Ihre ersten beruflichen Stationen in der Windbranche hatten, gab es über 40 Anbieter für Windenergieanlagen hierzulande. Geblieben sind davon bis heute gut ein halbes Dutzend. Was heißt das für die weitere Entwicklung der Windenergie?
Lührs: Diese Konsolidierungswelle setzt sich weiter fort. Wahrscheinlich sehen wir in einigen Jahren nur noch drei, vier Anbieter auf dem deutschen Markt.
E&M: Warum?
Lührs: In den zurückliegenden Jahren haben die Hersteller immer wieder neue Plattformen auf den Markt bringen müssen, um mit der Steigerung der Generatorleistung mithalten zu können. Von so mancher neu entwickelten Anlage haben einige Unternehmen nur wenige Hundert Stück verkauft, wenn überhaupt, weil schon die nächstgrößere Maschine auf den Markt musste. Bei diesen immer rasanter werdenden Entwicklungszyklen ist kaum mehr Geld zu verdienen. Die Entwicklung einer neuen Plattform kostet aber einen dreistelligen Millionenbetrag, wozu nur noch wenige große Unternehmen in der Lage sind. Für kleinere Anbieter bleiben nur die Nischenmärkte.
E&M: Was aber nicht für Ihre Sachverständigengruppe, die 8.2 Group, gilt?
Lührs: Uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Wir profitieren nicht nur davon, dass wir im Netzwerk auf das Know-how von mittlerweile 130 Sachverständigen im In- und Ausland zurückgreifen können. Der Siegeszug der Windenergie an Land und auf See wird weitergehen. Wie vor 25 Jahren bei der 8.2-Gründung bin ich aber davon überzeugt, dass die Windmüller und Betreiber einen technischen Anwalt brauchen. Das bietet ihnen die Chance, den Anlagenherstellern auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Denn wie in anderen Branchen gilt auch in der Windbranche: Nicht jede Windturbine ist so konstruiert, dass sie wirklich die versprochenen 20 oder 25 Jahre in Betrieb bleibt.